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Die einzige Tageszeitung, die seinerzeit wiederholt und ausführlich berichtet hatte, war die taz
 
 

taz Nr. 4168   Seite 8 vom 20.11.1993  147 Zeilen     taz-Bericht werner paczian

Es ist Krieg - und ein Dorf geht nicht hin

In der nordserbischen Wojwodina verweigert ein 2.000-Seelen-Dorf seit über einem Jahr kollektiv den Kriegsdienst / Nun hat sich die "Geistige Republik Zitzer" für unabhängig erklärt

Von Werner Paczian

Der ungewöhnlichste "Staat" der Welt, die "Geistige Republik Zitzer" (GRZ) in der nordserbischen Wojwodina, hat symbolisch seine Unabhängigkeit von Belgrad erklärt. Für den 28. November dieses Jahres planen die Zitzeraner nun - ebenfalls symbolisch - die feierliche Eröffnung einer US- Botschaft auf ihrem "Staatsgebiet". Hinter dem merkwürdigen Gemeinwesen verbirgt sich das 2.000-Seelen-Dorf Tresnjevac in der Wojwodina, dessen BewohnerInnen im Mai 1992 mit einer kollektiven Kriegsdienstverweigerung den Zorn der serbischen Militärs auf sich gezogen hatten.
Tresnjevac nahe der ungarischen Grenze könnte noch heute ein ganz normales Dorf sein. Der Gestank von Viehmist und Traktorabgasen vermischt sich mit dem Duft von Heu, Stroh und frisch gebackenem Brot. Der Kirchturm ist das höchste Bauwerk. Hinter den kleinen Einfamilienhäusern sind Gemüsegärten angelegt und Ställe für das Vieh gezimmert.
Bis zum Mai 1992 war Tresnjevac auch ein ganz normales Dorf. Dann rollten 92 Panzer an, die mit einem Schießbefehl bei möglichen Unruhen in den "Kampf" geschickt worden waren. Die Tanks umzingelten das friedliche Fleckchen, das man bequem mit zehn Schäferhunden hätte bewachen können. Die Staatsgewalt fühlte sich herausgefordert, weil die 2.000 größtenteils ungarischstämmigen DorfbewohnerInnen den weltweit meistzitierten Friedensspruch ernst genommen haben. Die Menschen in Tresnjevac oder Oromhegyes, wie der Ort auf ungarisch heißt, stellten sich vor, wie der Krieg ist - und keiner ging hin.
Anfang Mai 1992 waren über 200 männliche Dorfbewohner zu angeblichen Reserveübungen einberufen worden, ungefähr die Hälfte der "kampffähigen" Männer zwischen 18 und 55. Die BewohnerInnen verfügten aber über Informationen, nach denen diese "Reserveübungen" an der Front in Bosnien stattfinden würden. Dort eskalierte zu diesem Zeitpunkt bereits der Krieg.
Spontan organisierten die Menschen von Tresnjevac einen Massenprotest und richteten ein Friedenscamp in der zentralen Dorfkneipe ein, einer Pizzeria mit Billardtisch, die nach einem ehemaligen Besitzer "Zitzer-Club" heißt. Nicht einer der Einberufenen folgte dem Marschbefehl. Obwohl die Panzer nach drei Tagen abzogen, hielten die VerweigerInnen ihr Friedenscamp 62 Tage aufrecht.
Vilmos Almasi (32) ist einer der Reservisten, die die Einberufung ablehnen. Wie andere auch wurde er Tage nach Protestbeginn zur Militärbehörde im nahegelegenen Subotica zitiert. Bei der Anhörung stellte sich dann heraus, daß von einer "Reserveübung" keine Rede sein konnte: Vilmos Almasi wurde mitgeteilt, er habe sich geweigert, seine mobilizacija zu befolgen - die militärische Mobilmachung. Der Beschuldigte aber blieb ebenso standhaft wie sein gesamtes Dorf.
Mit dem erfolgreichen Protest in Tresnjevac kamen neue Ideen und eine Portion Witz. Kurzerhand wurde im Juni 1992 die "Geistige Republik Zitzer" (GRZ) gegründet.
Laut eigener Verfassung ist sie eine "symbolische Republik ohne territoriale Ansprüche", eine "geistige Verbindung zwischen allen Menschen, die den Frieden wollen". Die kleinste Republik der Welt wächst seitdem mit jedem Tag. Ihre Bürgerinnen und Bürger kommen inzwischen aus Tresnjevac, Japan, Frankreich, Argentinien, Deutschland und den USA.
Spätestens als die GRZ ein eigenes Wappen einführte, mußte auch dem letzten Militär in Belgrad klarwerden, daß die Ausrufung dieser Republik ein symbolischer Akt ist. In einem bunt umrandeten Quadrat bilden drei Kugeln ein Dreieck: Die Billardkugeln aus dem "Zitzer-Club". In der Wappenmitte ein schlichter Kreis, der für eine Pizza steht. Als Hymne wählen die Menschen den "Bolero" von Ravel. "Das Stück fängt leise mit wenigen Stimmen an und wird immer dynamischer", sagt Dorflehrer Lajos Balla. "Es ist wie unsere Idee."
Mittlerweile sind die GRZ und ihre GründerInnen in akuter Gefahr. Die direkten Telefon- und Postverbindungen sind unterbrochen worden, um die WiderständlerInnen von der Außenwelt und anderen Friedensgruppen in Ex- Jugoslawien zu isolieren. Mit der symbolischen Eröffnung einer US- Botschaft im Rahmen eines Friedens- und Musikfestes will die GRZ den Geist des "Zitzer-Clubs" unter den Schutz der internationalen Öffentlichkeit stellen. In einer ins Ausland geschleusten Erklärung werben die standhaften DörflerInnen für die Veranstaltung mit ihrem wichtigsten Friedens-"Kapital": Den 200 Original-Einberufungs-Verweigerern, die noch immer in Tresnjevac ausharren.
Solibriefe und Anträge auf die Zitzer Staatsbürgerschaft bitte an: Lajos Balla, Ul. 29. Novembar 44, YU-24426 Oromhegyes/Tresnjevac
 
 
 

taz  Nr. 4220   Seite 4 vom 22.01.1994   68 Zeilen    taz-Bericht werner paczian

Solidarität mit dem Friedens-Dorf

Serbisches Kriegsverweigerer-Dorf mit neuen Bürgern

Münster (taz) - Die "Geistige Republik Zitzer" in der nordserbischen
Vojvodina hat einige hundert BürgerInnen dazugewonnen. Die 2.000
BewohnerInnen von Tresnjevac in der nordserbischen Vojvodina, die im Mai 1992
kollektiv den Wehrdienst verweigert und nach erfolgreich überstandener
Belagerung durch Panzer den ungewöhnlichsten Staat der Welt gegründet hatten
(die taz berichtete), hatten darauf hingewiesen, daß laut der Zitzeraner
Verfassung jeder Mensch StaatsbürgerIn werden kann, der im Geiste die Idee
des gewaltfreien Widerstandes gegen den Krieg unterstützt. Seit dem
taz-Bericht gingen bei dem Lehrer des Dorfes, Lajos Balla, massenhaft Anträge
auf Staatsbürgerschaft ein.

Mindestens 165 "Ausweise" der kleinen Republik sollen inzwischen auf dem Weg
in die BRD sein, meldet ein Friedensaktivist aus Stralsund. In Köln warb der
"Grüne Friedensarbeitskreis" für den Ministaat und wurde 200
Beitrittserklärungen los. Kollektiv trat dem Un-Staat auch das Neue Forum
Thüringen bei, dessen Mitglieder den Zitzeranern im Gegenzug die
Mitgliedschaft in der Bürgerbewegung anboten.

Derlei Unterstützung kann Tresnjevac laut Thomas Bremer tatsächlich gut
gebrauchen: PazifistInnen in Serbien sind nach Meinung des Balkanexperten
"besonders dann in Gefahr, wenn Belgrad sie unbemerkt unter Druck setzen
kann". Eine breite internationale Öffentlichkeit böte dagegen einen gewissen
Schutz. Tatsächlich sind die Menschen in Restjugoslawien mit dem
Jahreswechsel per Regierungsverordnung weiter isoliert worden. Seitdem kostet
jeder Grenzübertritt zehn Mark Gebühr, ein Mehrfaches des durchschnittlichen
Monatslohns.

Die "Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden" von Bündnis 90/Die Grünen hat längst
gehandelt. Anfang Dezember stellte sie einen kollektiven Antrag auf
Einbürgerung. "Eine Republik von Kriegsdienstverweigerern haben wir uns schon
lange gewünscht", hieß es in dem Begleitschreiben an Lajos Balla, "bis die
Bundesrepublik Deutschland so weit ist wie Ihr, wird es noch ein paar Jahre
dauern - aber wir arbeiten dran." Werner Paczian

Anträge auf Staatsbürgerschaft bitte weiterhin an: Lajos Balla, Ul. 29.
Novembar 44, YU-24426 Tresnjevac/Oromhegyes
 
 
 

taz-BERLIN Nr. 4307 Seite 5 vom 06.05.1994 57 Zeilen     taz-Bericht werner paczian

Unterstützt das Friedensdorf Zitzer

In Bremen wird ein symbolisches Konsulat der "Geistigen Republik
Zitzer" eröffnet / Bitte um Solidaritätsbesuche
 

Berlin (taz) - Am 9. Mai 1994 werden VertreterInnen der "Geistigen
Republik Zitzer" im nordserbischen Tresnjevac öffentlich ein neues Buch
vorstellen, in dem die mittlerweile zwei Jahre dauernde, kollektive
Kriegsdienstverweigerung des Dorfes dokumentiert wird. Die Publikation umfaßt
Zeitungsberichte, Kommentare und Bildmaterial über den beharrlichen
Widerstand gegen eine Kriegsteilnahme und die Geschichte des ungewöhnlichsten
"Staates" der Welt, der "Republik Zitzer".

Es geht um das 2.000-Seelen- Dorf Tresnjevac in der Wojwodina, dessen
BewohnerInnen im Mai 1992 mit einer kollektiven Kriegsdienstverweigerung den
Zorn der serbischen Militärs auf sich gezogen hatten. Nachdem die Menschen
dort erfolgreich eine Belagerung durch Panzer überstanden hatten, gründeten
sie die "Geistige Republik Zitzer". Nach der Verfassung der symbolischen
Republik kann "StaatsbürgerIn" werden, wer im Geiste die Idee des
gewaltfreien Widerstandes gegen den Krieg unterstützt.

Zwei taz-Artikel über die "Republik Zitzer" lösten in der deutschen
Friedensbewegung bisher zahlreiche Aktivitäten aus. So stellten mittlerweile
mehrere hundert Menschen symbolisch einen Antrag auf "Staatsbürgerschaft".
Das Bremer Friedensforum plant die - ebenfalls symbolische - Eröffnung eines
Konsulats der "Republik Zitzer" in der Hansestadt.

Zur geplanten öffentlichen Buchpräsentation am 9. Mai bitten VertreterInnen
aus Zitzer dringend um Solidaritätsbesuche in dem kleinen Dorf. Aufgerufen
sind alle Friedensgruppen und die Medien. Werner Paczian

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taz Nr. 4317 Seite 11 vom 19.05.1994    92 Zeilen   Portrait werner paczian

Das Portrait

Vilmos Almasi

Wegen Kriegsdienstverweigerung eingeknastet

Der zweiunddreißigjährige Vilmos Almasi gehört zu den über zweihundert
Kriegsdienstverweigerern aus dem kleinen nordserbischen Dorf Tresnjevac, die
im Mai 1992 den Eintritt ins Militär verweigert hatten. Jetzt schlägt das
Militär zurück: Seit Montag sitzt Vilmos in einer Haftanstalt in Subotica
nahe der ungarischen Grenze. Ein Gericht hatte ihn zuvor zu vier Monaten
Gefängnis verurteilt.

Vor zwei Jahren hatte Vilmos Almasi in Tresnjevac den Massenprotest eines
ganzen Dorfes maßgeblich mitgesteuert. Die 200 zu "Reserveübungen"
einberufenen Männer versammelten sich damals mit Hunderten Freunden und
Verwandten in der zentralen Dorfkneipe, dem "Zitzer-Club". 92 Panzer
umzingelten daraufhin fast vier Tage lang das überwiegend von Ungarn bewohnte
Fleckchen. Die zweitausend DorfbewohnerInnen weigerten sich, ihre Söhne,
Ehemänner oder Väter in den Krieg im ehemaligen Jugoslawien ziehen zu lassen.
Vilmos Almasi und seine Frau Tünde (24) gehörten von Beginn an zu den
Unbeugsamen.

"Wir haben uns vor den Panzern nicht gefürchtet", sagt Vilmos. "Warum sollten
die schießen? In unserem Dorf gibt es keine Waffen, außer ein paar alten
Jagdgewehren." Angst hatte Tünde um ihren Mann erst, als er wenig später zur
Militärbehörde zitiert wurde.

Vilmos blieb bei seiner Entscheidung. "Ich hatte zwei Möglichkeiten", sagte
er, "im Schatten Europas als Kriegsverbrecher zu leben oder den Mut
aufzubringen, solche Verbrechen abzulehnen." Die Militärs schickten ihn
trotzdem vorläufig zurück und begingen einen entscheidenden Fehler. Bei der
Anhörung gaben sie zu, es handele sich nicht um die Einberufung zu einer
Reservistenübung, sondern um die Mobilmachung zum Krieg.

Der wieder freigelassene Vilmos Almasi und seine MitstreiterInnen gründeten
im Juni 1992 die "Geistige Republik Zitzer" - ein symbolisches Staatsgebilde.
BürgerIn kann werden, wer "im Geiste" die Idee der Kriegsdienstverweigerung
unterstützt. Allein aus Deutschland kamen bisher rund 500 Anträge auf
Mitgliedschaft.

Daß die Militärs jetzt mit dem erneut eingeknasteten Vilmos Almasi einen
führenden Kopf dieser Republik bestrafen, soll für die übrigen Verweigerer
aus Tresnjevac offenbar abschreckend wirken. Inzwischen geht die Angst um im
Dorf, daß neue Einberufungsbescheide folgen. Werner Paczian
 
 
 
 

taz Nr. 4321 Seite 9 vom 25.05.1994  51 Zeilen   taz-Bericht werner paczian

Kriegsgegner im Hungerstreik

Aufrufe zur Solidarität mit serbischem Friedensdorf

Münster/Tresnjevac (taz) - Lajos Balla, der Kopf der
Friedensinitiative des nordserbischen Dorfes Tresnjevac, ist vor einer Woche
in den Hungerstreik getreten. Kurz darauf hat sich Istvan Bacskolin, der
Bürgermeister der nahen Kreisstadt Kanzsa, angeschlossen. Die beiden
protestieren gegen die Inhaftierung des designierten Bürgermeisters von
Tresnjevac, Vilmos Almasi. Der Friedensaktivist und Abgeordnete des
Regionalparlamentes hatte am 19. Mai eine viermonatige Haftstrafe antreten
müssen, weil er sich vor über zwei Jahren geweigert hatte, seiner Einberufung
zum Militärdienst Folge zu leisten.

Zu Kriegsbeginn hatten sich neben Almasi rund 200 Männer in Tresnjevac
geweigert, den Dienst mit der Waffe anzutreten. Die anderen BewohnerInnen des
Dorfes schützten sie damals vor dem Zugriff der jugoslawischen Armee. In
Tresnjevac leben etwa 2.000 Menschen meist ungarischer Abstammung. Im Juni
1992 hatten sie eine "Geistige Republik" ausgerufen, der allein aus
Deutschland bisher 500 Menschen beigetreten sind.

Nach Angaben des Strahlsunder Friedensaktivisten Wolfram Roger verweigerten
die serbischen Behörden der Frau von Vilmos Almasi, Tünde, in der letzten
Woche ihren Mann im Gefängnis zu besuchen. Da der Gefangene nur zwei Briefe
pro Woche empfangen darf, bitten die Hungerstreikenden, Umschläge mit weißen
Briefbögen an den Meduopstinski Zatvor, Za Vilmos Almasi,
Linijinove Park 1, YU-27000 Subotica zu schicken. Der Bundesverband des
Neuen Forum hat eine Protestnote an den serbischen Präsidenten Slobodan
Milosevic geschickt und bittet um weitere Faxe an die Nummer 00381-11-646
452. Werner Paczian
 
 
 

taz Nr. 4343 Seite 11 vom 20.06.1994 317 Zeilen   taz-Bericht werner paczian

"Macht euren Krieg ohne uns!"

Seit zwei Jahren verweigert ein Dorf in der nordserbischen Vojvodina
kollektiv den Kriegsdienst / Die "Geistige Republik Zitzer" hat
Hunderte von Bürgern außerhalb Ex-Jugoslawiens Aus
Tresnjevac Werner Paczian

Tresnjevac liegt auf einer Anhöhe. Inmitten der Vojvodina, der Tiefebene im
Norden Serbiens. Lange, dunke Ackerstreifen, die unterhalb des Dorfes
plötzlich abbrechen, zeichnen die Landschaft. Hinter den kleinen Häusern
wurden Gemüsegärten angelegt und Viehställe errichtet. Der Gestank von
Viehmist und Traktorabgasen vermischt sich mit dem Duft von Heu und
frischgebackenem Brot. Bis vor zwei Jahren war Tresnjevac ein Dorf wie jedes
andere. Dann rumorte es in der kleinen Gemeinde, und ein mächtiger Ausbruch
folgte. Heute ragt Tresnjevac auch aus der politischen Landschaft Serbiens
deutlich hervor.

Mária Lukácsi wäscht Gemüse. "Der Krieg hat die Wirtschaft ruiniert. Wer
keinen eigenen Garten, kein eigenes Vieh hat, ist heute schlecht dran", sagt
die 51jährige Hausfrau. Auch die Wurst stellt sie selbst her. "Ich hätte nie
geahnt, daß unser Protest so viel auslösen würde. Damals, das war eine
spontane Aktion." "Damals", sagen die 2.000 überwiegend ungarischstämmigen
Dorfbewohner, wenn sie von den Ereignissen im Mai und Juni 1992 sprechen. Als
Panzer Tresnjevac umzingelten. Als die serbische Staatsgewalt sich
herausgefordert fühlte, weil die Bewohner sich weigerten, die Männer des
Dorfes in den Krieg ziehen zu lassen.

Anfang Mai 1992 waren über 200 "Wehrfähige" aus Tresnjevac zu einer
"Reserveübung" einberufen worden. Die Leute ahnten, daß die "Übung" an der
Front in Bosnien stattfinden würde. Ein paar Frauen meldeten eine
Demonstration an. "Unsere Veranstaltung wurde verboten", erzählt die
24jährige Ildiko Mináros, "aber wir sind trotzdem auf die Straße gegangen."
Als dieser Protestzug durch die Gassen von Tresnjevac zog, erfuhren die
Menschen, daß ihr Ort seit einer Stunde von Panzern umstellt war. Trotzdem
weigerten sie sich, ihre Demonstration zu beenden, und zogen zur zentralen
Dorfkneipe, dem "Zitzer- Club". Die Pizzeria mit Billardtisch wurde zum
Stützpunkt der Kriegsdienstverweigerer.

Die Männer des Dorfes versuchten noch am gleichen Tag, die Positionen ihrer
Belagerer festzustellen. Zweiundneunzig Panzer zählten sie. Bis auf einen
hatten alle ihre Kanonen auf das Dorf gerichtet. "Als wir zurückkamen und
berichtet haben, herrschte minutenlang Totenstille", erzählt der Maurer Lázlo
Kokai. "Die Frauen haben ihre Kinder umklammert und gebetet. Wenn dir
plötzlich die Hölle droht, ist der Himmel sehr nah. Trotzdem haben wir
gedacht, es ist besser, hier zu sterben als in Sarajevo."

Mária kramt ein Bild hervor, auf dem ihr Haus zu sehen ist. "In die Dörfern,
in denen Menschen ungarischer Abstammung leben, kamen Studenten aus Belgrad
und haben die Häuser fotografiert." Das war im Januar 1991, kurz vor
Kriegsbeginn. Zuerst dachten die Bewohner von Tresnjevac, die Studenten
wollten sich ein bißchen Geld verdienen.

Aber dann kam das Gerücht auf, unter Serben würden Kataloge mit den Häusern
der Vojvodina- Ungarn herumgereicht. Zwar kennt Mária niemanden, der einen
derartigen Katalog je gesehen hätte. Doch die Gerüchte, die auch von
ungarischen Nationalisten stammen könnten, die die Region von Serbien
abspalten wollen, hielten sich. Gerüchte, die zeigen, wie angespannt die
Situation auch im angeblich so friedlichen Norden der "Bundesrepublik
Jugoslawien" ist.

Vor zwei Jahren hofften die Menschen von Tresnjevac noch, daß "die da schon
nicht schießen werden". In der Nacht vom 6. zum 7. Mai harrten Hunderte trotz
Panzern und Kälte im "Zitzer-Club" aus. Am nächsten Tag waren es schon weit
über 1.000 Protestierende. "Jeder, der gegen den Krieg war, konnte bleiben",
sagt Lajos Balla, der ehemalige Dorflehrer und Kopf des Widerstands. "Wir
haben nicht gefragt, ob jemand von Ungarn, Serben oder Kroaten abstammt."

Der 76jährige Miklos Cerna ist Bauer und lebt seit 1928 in Tresnjevac. Im Mai
1992 sprach er zum ersten Mal in seinem Leben vor mehr als zehn Leuten.
"Damit es Frieden gibt", sagt er heute. "Ich war ganz vorne im Zweiten
Weltkrieg und weiß, was ein Schlachtfeld ist. Deshalb mußte ich unseren
jungen Verweigerern gratulieren."

Der 33jährige Vilmos Almási und seine Frau Tünde (24) gehörten im Mai 1992 zu
den Unbeugsamen. "Wir haben uns vor den Panzern nicht gefürchtet. Warum
sollten die schießen? In unserem Dorf gibt es keine Waffen außer ein paar
alten Jagdgewehren." Vilmos ist einer der Reservisten, die die Einberufung
ablehnen. Angst hatte Tünde erst, als ihr Mann einige Monate später zur
Militärbehörde im nahen Subotica zitiert wurde. "Ich wußte nicht: Verliere
ich ihn, wenn er in den Krieg muß? Oder verliere ich ihn, wenn er sich
weigert zu kämpfen?" sagt sie.

Vilmos blieb bei seiner Entscheidung. Die Militärs hielten ihn jedoch nicht
fest und schickten ihn nach Hause zurück - vorläufig. Und während der
Anhörung begingen sie einen entscheidenden Fehler: Im Protokoll der Armee
steht, Vilmos habe sich geweigert, seiner mobilzacija nachzukommen
- der Einberufung zum Kriegseinsatz. Von einer "Reserveübung" war nirgends
die Rede.

Nach dem Essen holt Mária eine Sammlung von Banknoten hervor. "Dafür gab es
bis vor kurzem nicht einmal einen Kaugummi", sagt sie und hält einen Schein
hoch, auf den eine Fünf und viele Nullen gedruckt sind. "Eins, zwei, drei",
zählt Mária, "zehn, elf." Mit jedem Kriegstag sei die Inflation gestiegen,
Ende vergangenen Jahres hätten "die da oben" gar einen einen Meter langen
Geldschein herausgegeben, fügt Márias Mann Jozcef hinzu. "Klopapier haben wir
das genannt. Das kommt von dem Scheißkrieg." Inzwischen zahlen die Menschen
mit dem neuen "Super-Dinar". Seitdem laufen die Wetten, wie lange die neue
Währung stabil bleiben wird.

Mária schüttet dünnen Kaffee in kleine Tassen. Was treibt eine 52jährige
Hausfrau dazu, seit zwei Jahren konsequent gegen ein Regime aus Terror-Profis
zu opponieren? "Mein Neffe wurde bei Sarajevo getötet", erzählt sie. "Dabei
wollte er doch nur in Frieden leben, genauso wie wir." In der "Bundesrepublik
Jugoslawien" ist dieser Wunsch seit einigen Jahren keine Floskel mehr,
sondern gleichbedeutend mit Opposition zur amtlichen Politik.

"Damals haben wir uns zum ersten Mal im Leben gegen unsere Regierung in
Belgrad gewehrt, weil wir Angst um unsere Männer hatten", sagt Mária. "Selbst
meine engsten Freunde habe ich durch unseren Protest völlig neu
kennengelernt." Die Bewohner von Tresnjevac riskierten ihren größten Besitz -
das eigene Leben. "Es ist nicht so, daß wir nicht zurück könnten", betont
Mária. "Wir wollen es nicht!"

Zumal auch aus den umliegenden Dörfer Unterstützung kam. Als erster radelte
ein Bauer nach Tresnjevac und spendete ein halbes Schaf. Dann wurde in den
Nachbargemeinden Geld gesammelt, um den Verdienstausfall der Protestierenden
auszugleichen. Aber auch Belgrad reagierte. Am dritten Tag des Widerstandes
wurde der "Fall Tresnjevac" im Parlament behandelt, kurz danach zogen die
Panzer ab. Weil im Dorf keiner dem plötzlichen Frieden traute, wurde das
Verweigerungscamp im "Zitzer-Club" fortgesetzt, insgesamt 62 Tage lang.

Márias Blick wird ängstlich, als sie über die etwa zwanzig serbischen
Familien im Dorf spricht. "Von manchen haben wir gehört, wir sollten nach
Ungarn verschwinden und uns da versammeln." Und das sei noch eine der
harmlosesten Anfeindungen gewesen. "Und", so Mária weiter, "wird dürfen uns
nicht einmal wehren, sonst heißt es gleich, die serbische Minderheit würde
unterdrückt." Für die Politiker in Belgrad boten solche Behauptungen nicht
nur einmal den Anlaß für bewaffnete Aktionen in anderen Dörfern.

Einschüchterungsversuche gegen die Menschen in Tresnjevac gibt es bis heute.
Mal tauchten Unbekannte auf und belauerten die Häuser. Das Kennzeichen ihres
Fahrzeuges war aus der selbsternannten "Serbischen Republik Krajina", einem
international nicht anerkannten "Staat".

Und auch die Armee läßt Tresnjevac nicht los, will die Dorfbewohner zum
Aufgeben zwingen. Vergeblich: Als im vergangenen Jahr die Militärpolizei
anrückte, sprang ein Reservist über den Gartenzaun und verschwand. Ein
anderer versteckte sich im Eisschrank. Der war dank der Kriegswirtschaft
leer.

Vilmos Almási, der designierte Bürgermeister von Tresnjevac, sitzt seit Mitte
Mai im Knast. Für seine Weigerung, als "Reservist" in den Krieg zu ziehen,
verurteilte ein Militärgericht den Landarbeiter zu vier Monaten Haftstrafe.
Herr Almási, so die Begründung, bedeute eine Gefahr für die Allgemeinheit.
Doch der Bürgermeister steht bis heute zu seinem Entschluß. "Ich hatte die
Wahl, im Schatten Europas als Kriegsverbrecher zu leben oder den Mut
aufzubringen, solche Verbrechen abzulehnen."

"Macht euren Krieg ohne uns!", so lautete vor zwei Jahren die spontane
Reaktion der Dorfbewohner. Aber dann entwickelte sich aus dem Widerstand ein
viel weiter reichendes Ziel. Ende Juni 1992 gründeten die Menschen von
Tresnjevac die "Geistige Republik Zitzer" (GRZ). "Es ist eine Republik ohne
territoriale Ansprüche", erklärt Lajos Balla. "Heute sind wir per Verfassung
eine symbolische, transnationale Institution des bürgerlichen Ungehorsams."

Und weil die Bürger der "Geistigen Republik" die Staatsgründung vor allem als
einen symbolischen Akt sahen, entschieden sie sich auch für ein Wappen voller
Symbole. In einem buntumrandeten Quadrat bilden drei Kugeln ein Dreieck: Die
Billardkugeln aus dem "Zitzer-Club". Der schlichte Kreis in der Wappenmitte
symbolisiert eine Pizza.

Die kleinste Republik der Welt wächst jeden Tag. Ihre symbolischen Bürger
leben inzwischen in Japan, Frankreich, Argentinien und den USA. Allein 500
Anträge auf "Staats"-Bürgerschaft gingen nach und nach aus Deutschland ein,
passend zur Republik-Hymne, dem "Bolero" von Ravel. "Das Stück fängt langsam
und mit wenigen Stimmen an und wird dann immer lauter", sagt Lajos Balla. "Es
ist wie unsere Idee."
 
 


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